Bernd Nicolaisen, Restlicht, Museum Gletschergarten, Luzern, CH, 2016-2017


Restlicht, Drop, Open, Ballroom, #021, Museum Gletschergarten, Luzern, 2016-2017


Restlicht, #011, Museum Gletschergarten, Luzern, 2016-2017


Restlicht, Vita, #014, Museum Gletschergarten, Luzern, 2016-2017


Restlicht, You, Black Pearl, #024, Museum Gletschergarten, Luzern, 2016-2017

Bernd Nicolaisen, Restlicht, Museum Gletschergarten, Luzern, CH, 2016-2017



SUBJEKTIVE FOTOGRAFIE: ABSTRAKTION DURCH REDUKTION
Light Paintings im Museum Gletschergarten in Luzern


Nach der erfolgreichen Vernissage ist die Ausstellung RESTLICHT des Schweizer Fotografen Bernd Nicolaisen noch bis zu Beginn des nächsten Jahres zu betrachten. Zum Teil aufwendig in Leuchtkästen installiert, sind die Aufnahmen Schweizer und isländischer Gletscher im Luzerner Museum Gletschergarten präsentiert. Die einzigartigen Fotografien von über tausend Jahre altem Eis sind zwischen 2004 und 2016 entstanden, darunter aktuelle Werke, die das erste Mal der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

In der neu arrangierten Schau geht es um unberührte, magisch-anmutende Orte der Einsamkeit, der Stille, der Melancholie und auch der Spiritualität. Dargestellt sind scheinbar abstrakte Zeichnungen von eigeschlossenem Sauerstoff im Wechselspiel mit schwarzen Lavasedimenten. Die alles dominierende und durchdringende Farbe hierbei ist Blau – in allen Variationen und Nuancierungen. Linien- und Rahmengeber ist die ins Eis eingelagerte Asche, wodurch immer wieder neue Kombinationen von Farben, Licht und Formen den Betrachter zu einer ganz eigenen, subjektiven Wahrnehmung herausfordern. Nicht die objektive Wirklichkeit einer Situation steht im Fokus der Aufnahmen, sondern die authentisch wirkenden Schattierungen, grafische Strukturen und Konturen des Eises, die einen transparenten Effekt erzielen. So entstehen surreal wirkende Aufnahmen, die die Phantasie des Zuschauers anregen. Auch Assoziationen an die Eis- und Winterlandschaften der niederländischen Malerei des 16. Jahrhunderts lassen sich aufrufen. Nicolaisen erkundet Strukturen und Oberflächen gefrorener Zeit, um diese auf eine ausdrucksstarke Art sichtbar zu machen. Nichts eignet sich für die Darstellung des Phänomens Zeit besser als die Abbildung von Gletschern: Zwar sind sie Jahrhunderte alt, aber ihre Eismassen schwinden kontinuierlich und erinnern auch an die eigene Vergänglichkeit und die der Natur. „Meine Arbeiten sprechen von der Klarheit eisiger Oberflächenstrukturen und der Unermesslichkeit durchsichtigen Eises. Daraus entstehen meine Eisgeschichten“, wie der Fotograf dazu anmerkt.

Der Reiz der Bilder wird zusätzlich durch die extremen Lichtbedingungen betont, einer Art Light Painting. Für Nicolaisen ist es wichtig, das richtige und nötige (Rest-)Licht für seine Aufnahmen zu finden. Die zum Teil irreal wirkenden Lichteffekte sind dabei von der realen Lichtsituation vor Ort abhängig. Im Unterschied zu den Aufnahmen der Schweizer Gletscher, die aufgrund ihrer wesentlich jüngeren Entstehungsgeschichte und anderer Sedimenteinlagerungen eher milchig und im Gegenlicht zweidimensional wirken, erreichen die Aufnahmen isländischer Gletscher eine Art dritte Dimension, die sich durch Transparenz und Plastizität abhebt. Entstanden sind die Aufnahmen am Gorner- und Theodulgletscher in der Schweiz sowie an fünf Gletschern im Süden Islands, darunter die Gletscherzunge Breidamerkurjökull des Vatnajökull. Text: Andrea Henkens, Hamburg


RESTLICHT, DURCHSICHT, KLARBLICK.
Klaus Honnef, Bonn

»Nur die Phantasie kann die Grenzen des Horizonts überwinden. Und nur die Kunst vermag sichtbar zu machen, was die Möglichkeiten des Auges gewöhnlich übersteigt. Sie ist fähig, ein Gefühl für die Unermesslichkeit des Seins zu übermitteln.

Die Fotografie scheint in Allem das Gegenteil zu sein. Vergegenwärtigt sie doch etwas, das unwiederbringlich vergangen ist. Andererseits verknüpft nur sie das Vergangene unmittelbar mit der Gegenwart und eröffnet, indem sie den Horizont scheinbar verengt, neue Räume für die Vorstellungskraft. Das fotografische Projekt »Restlicht« von Bernd Nicolaisen taucht tief in die Vergangenheit des Planeten Erde ein und entdeckt sie dem Jetzt. Restlicht ist eigentlich das Licht, das vom Tage übrig bleibt. In den fotografischen Bildern Nicolaisens erhellt es jedoch die Geschichte der Erde vor der aufgezeichneten Geschichte. Das Eis der Gletscher, längst nicht mehr ewig, sondern vom Verschwinden bedroht, ist ihr wichtigster Zeuge, ihr »genetischer Zeitabdruck« (Nicolaisen). Das Licht überträgt diese Geschichte auf die lichtempfindlichen Zellen der Kamera – und eilt stetig weiter. In eine unermessliche Zukunft.

Die Bilder von Bernd Nicolaisen lassen ahnen, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gedankliche Instrumente menschlichen Orientierungsbedürfnisses sind, zudem geschichtlich determiniert. Angesichts der vermutlich unergründlichen Gesetze des Universums sind sie allerdings von begrenztem Erkenntniswert. In den Bildern verschmelzen sie förmlich. So wirken die Bilder unendlich klar und wunderbar geheimnisvoll, von kühler Rationalität und außergewöhnlicher Emotion, subjektiv und objektiv. Die Geschichte selbst war stets eine Frage von Möglichkeiten und ist es auch in der Zukunft. Wie Nicolaisens Bilder. Sie sind fern und nah zugleich.

So entsteht jenes feine stimmungsvolle Gespinst, dem Alois Riegl den Namen »Aura« gegeben hat. Die Bilder ziehen uns magisch in die tiefsten Tiefen unserer Existenz. Sie verschaffen uns, je länger wir sie betrachten, eine Durchsicht auf die existenziellen Bedingungen des Seins, die zu gestalten wir manche Möglichkeiten haben, aber nur wenig Zeit. Die Zeit, die wir uns nehmen.«

Nicolaisen arbeitet überwiegend analog mit der Großbildkamera (8x10’’). Seine Aufnahmen sind klassische schwarzweiß Gelatin-Silver-Prints, die farbigen Archival-Pigment-Prints für die Tableaux und Leuchtkästen sind digital entstanden. Der konzeptionelle Ansatz, den Nicolaisen bei seinen immer wiederkehrenden Aufnahmen des Gletschermotivs bereits seit Jahren verfolgt, setzt Themen wie Zeit und Vergänglichkeit um. Diesen Ansatz hat Nicolaisen bereits in seinen fotografischen Arbeiten anhand der Jahresringe von kalifornischen Bergpinien fotografisch untersucht (2004-2010). In Luzern wird jetzt das uralte Wasser, das in Form des gefrorenen Eises bereits über hunderte von Jahren überstanden und weite Wege zurückgelegt hat, in die Gegenwart transferiert und bildlich dargestellt. Der Betrachter erblickt Details von Gletscheroberflächen, von Eishöhlen und Tunneln, die vor ihm kaum ein Mensch gesehen hat. So findet sich das Erhabene und Ursprüngliche in der grandiosen Natur von Eismeeren, Gebirgsformationen und Gletschern wieder. Da Letztere heute immer mehr verschwinden, verleiht somit der Begriff „Gletscherschwund“ den Arbeiten von Bernd Nicolaisen eine zusätzliche, weitgreifend ökologische Dimension.


INFO

AUSSTELLUNG:
Museum Gletschergarten Luzern, Denkmalstraße 4, CH – 60006 Luzern.
Öffnungszeiten: Mo–So 9-18 Uhr. Laufzeit: 13.05.2016-8.1.2017

KATALOG
Bernd Nicolaisen - Restlicht
Photographs – Tableaux – Lightboxes - 2004-2015, Iceland

Mit Texten von Prof. Klaus Honnef, Dr. Andrea Henkens, Andreas Staeger, Christoph Sigrist und Stephan Reisner, 2015.
Gestaltung: Walter Stähli
192 S., 103 Abb., 24,5 x 29,5 cm, Leinen, ISBN 978-3-7757-4061-6 (Deutsch, English)
Verlag: Hatje Cantz