ANCIENT GLACIAL ICE
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ERINNERUNG - VERGANGENHEIT UND GEGENWART
Andrea Henkens
Fotografie speichert meist einen Zeitpunkt in der Vergangenheit. Sie ist Erinnerung und »keineswegs als eine Kopie des Wirklichen – sondern als Emanation des vergangenen Wirklichen« zu sehen, wie Roland Barthes in seinen Bemerkungen zur Photographie schreibt. Dieser Ansatz wird auch in den Fotografien von Nicolaisen deutlich: Vergangenheit und Gegenwart werden eins.
Ein ähnlicher Grundzug findet sich auch bei Hiroshi Sugimoto: Seine Seestücke sind, wie er sagt »gleichmäßig in Meer und Himmel aufgeteilt, denn diese Elemente befanden sich vom Augenblick ihrer Entstehung an immer in Bewegung, unter- scheiden sich nur durch Licht und Wetter und repräsentieren so den sich immer wiederholenden Rhythmus der Natur.
Die Gletscheraufnahmen Nicolaisens weisen einen ähnlichen Rhythmus von Licht und Zeit auf und wurzeln in der inneren Erfahrung des Künstlers. Er nimmt Landschaft nicht nur über das Sehen wahr, sondern auch über Emotionen. Nicolaisen entwickelt eine konsequent fotografische Sichtweise, welche die Oberfläche der Landschaft zugleich in ein gestaltetes und reduziertes Bild verwandelt, ohne jedoch den Bezug zum Motiv aufzugeben. Seine konzeptuelle Herangehensweise in der fotografischen Fixierung immer wieder variierender Motivgruppen von Gletschern und Eis zum Thema Zeit lässt auch einen Bezug zur subjektiven Fotografie, wie sie etwa von Minor White oder Otto Steinert vertreten wurde, zu.
Bei Nicolaisen ist die Fantasie des Betrachters gefordert, seine Sehschärfe wird geschult anhand der Transformationen kristalliner Formen und Strukturen. Bei seinen Naturformkonzeptionen sind die Eingriffe des Menschen meist nicht sichtbar, keine Lebewesen oder Zeichen der Zivilisation sind dargestellt, und so findet sich das Erhabene, das Wilde und Ursprüngliche in der grandiosen Natur von Gletscher, Eismeer und Gebirgsformationen wieder: Abstrakte Formen laden zum Betrachten und Verweilen ein wie etwa in Black Pearl.
Nichts ist inszeniert und dennoch erreichen die Aufnahmen eine geradezu strahlende Magie. Sie suggerieren einerseits Zugänglichkeit, wirken jedoch gleichzeitig entfremdet, einsam und unwirtlich, geradezu unwirklich. Sie zeigen die Größe und majestätische Erhabenheit der Gletscher, die wie zu Tableaus der Ruhe und Ereignislosigkeit komponiert sind. Die monochromen Tönungen und detaillierten Oberflächenstrukturen erscheinen manchmal in betörenden Farben von unwirklich tiefem Blau bis zu leuchtendem Türkis, manchmal in feinsten Grauabstufungen. Spektakuläre Formationen, kleinste Linien und Formen sind sichtbar, winzige Details erscheinen wie Ornamente in der hohen Auflösung und der Perfektion sowie der Qualität des Drucks von eigener Hand. Nicolaisen geht es in erster Linie um das Bild. Nicht das Dokument im wissenschaftlichen Sinn ist von Interesse, sondern seine subjektive Sicht, die zugleich auch dokumentarisch ist. Seine Fotografien sind poetisch, wirken geradezu malerisch und sind nicht politisch im Sinne eines zeitkritischen Manifests.
Das Thema Landschaft hat offenkundig bei zeitgenössischen Fotografen einen besonderen Reiz: Viele widmen sich ihr als Ort der Ursprünglichkeit, als Rückzugsort und Idylle, als Hommage an ihre Schönheit. So gibt es Urwälder bei Thomas Ruff, Bergwelten von Axel Hütte, den Wald bei Jitka Hanzlová und Eisberge und Fjorde von Peter Olaf Becker, um nur einige zu nennen. Im Zeitalter verschwundener oder verschwindender Landschaften, zerstörter und gefährdeter Gegenden, schärfen Fotografien unseren Blick und das Bewusstsein für diesen Wandel. So sind Nicolaisens Aufnahmen in all ihrer künstlerischen Qualität auch ein Appell an uns zur Bewahrung und zum Schutz der Natur.